Wie man Glück misst: Hedonia vs. Eudaimonia

(© Melanie Vogel) Für viele Menschen ist Glück der Maßstab für ein gutes Leben. Es ist das, was der römische Redner und Philosoph Cicero das „Summum bonum“ nannte – den größten Wert von allen. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass Glück an Komfort und materielle Bedingungen geknüpft ist. Schaut man in die Philosophie, wird Glück jedoch auf einer ganz anderen Ebene vermutet – und gefunden. Die Glücksforschung reicht zurück bis zu Aristoteles, für den es beim Thema Glück entweder um Vergnügen (Hedonia) oder um innere Erfüllung ging, auch Zufriedenheit genannt (Eudaimonia). Nehmen wir diese Gedanken als Grundlage, so ist – nach Aristoteles – Glück für die meisten Menschen gleichermaßen zugänglich, unabhängig von ihren sozioökonomischen Bedingungen. Doch was bedeutet Glück eigentlich genau? Ist Glück ein Gefühl – oder ein Zustand? Können wir glücklich sein erlernen oder ist die Fähigkeit dazu angeboren?

Hedonia vs. Eudaimonia

Die alten Griechen bezeichneten mit Hedonia das Vergnügen oder das, was wir heute vermutlich einfaches „Glück“ nennen würden. Es ist der subjektive Zustand, sich großartig zu fühlen. Es ist der emotionale Effekt des Lachens, des Genießens eines leckeren Essens oder des Schauers, wenn man eine ergreifende Musik hört. Hedonia ist ein innerlicher Genuss, gekoppelt an ein äußerliches Vergnügen. Diese Art von Glück kann man relativ einfach messen. Wenn es da ist, spüren wir es intensiv, jedoch: Es ist flüchtig. Diesen Zustand von Glück können wir nicht in die Länge ziehen. Er kommt und geht.

Mit „Eudaimonia“ wird die Sache komplexer. Für Aristoteles und später auch für die meisten Stoiker war Eudaimonia verbunden mit einem erfüllten Leben. Eudaimonisches Glück bedeutet, dass die Seele gedeiht und man das tut, wozu man als Mensch bestimmt ist. Daher ist Eudaimonia auch weniger ein Gefühl, sondern vielmehr ein stetiger Zustand bzw. ein Prozess der Hinwendung in diesen Zustand hinein. Eudaimonia erfordert innerliche Arbeit, denn dieser Zustand stellt sich nicht einfach so ein. Um ihn zu erreichen braucht es den Willen, dass wir bewusst auf die Suche gehen, uns entwickeln, uns hinterfragen und uns so lange innerlich neu ausrichten, bis wir einen „Seelenzustand“ erreicht haben, der uns das sichere Gefühl gibt, in unserer Bestimmung angekommen zu sein. Deswegen wird Eudaimonia auch häufig mit „Glückseligkeit“ übersetzt. Diese Form des Glücks zu messen ist schwierig, weil es hier um eine prozesshafte Entwicklung geht, in der wir uns langsam aber stetig in einen stabilen Zustand der Lebenszufriedenheit hineinarbeiten.

Kann man Glück dann überhaupt messen?

Allein die Unterschiede zwischen Hedonia und Eudaimonia zeigen die Unterschiedlichkeit in der Deutung. Zwischen spontanem Gefühl und einem sich entwickelnden Zustand liegen – buchstäblich – nicht messbare Welten. Berücksichtigt man dann noch individuelle Temperamente und kulturelle Unterschiede, so erklärt sich, warum die Menschen trotz jahrtausendealter Debatten kein weltweit einheitliches Verständnis von Glück entwickeln konnten.

Stellen Sie sich vor, Sie würden in einer Forschungsstudie gefragt: „Sind Sie glücklich?“ Wie würden Sie für sich diese Frage interpretieren? Einige von uns werden Glück als Hedonia verstehen. Andere werden Glück als eudaimonisch messen. Die Antworten werden so unterschiedlich ausfallen, dass sie nicht verglichen werden können.

Eine zielführendere Frage könnte daher sein: „Bist du gerade glücklich?“ Hier würde die Antwort den aktuellen eher affektiven, hedonistischen Zustand messen. Oder man könnte fragen: „Führst du ein glückliches Leben?“ Hier liegt die Betonung eher auf der eudaimonischen Betrachtung. Bei der Messung von Glück kommt es also entscheidend auf die Frage und den Zeitraum an.

Wie messen andere Glück?

Der World Happiness Report nutzt seit mehr als 20 Jahren verschiedene Algorithmen, Datensätze und statistische Analysen, um die glücklichsten und unglücklichsten Orte der Erde zu ermitteln. Laut ihrer Website messen sie das Glück, indem sie sich u.a. auf folgende Gallup-Umfragedaten konzentrieren:

  • Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
  • Soziale Unterstützung
  • Gesunde Lebenserwartung
  • Freiheit
  • Eigene Lebensentscheidungen treffen zu können
  • Wahrnehmung von internem und externem Korruptionsniveau

Im Wesentlichen misst der World Happiness Report das Glück also in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Für sie resultiert Glück aus Wohlstand, Komfort, Chancen, Freiheit, Gerechtigkeit und Unterstützung. Diese Messung ist jedoch nicht ganz unproblematisch und zwar aus zwei Gründen:

  1. Ein affektiver und emotionaler Zustand wird anhand von Daten betrachtet. Diese Daten verwandeln einen höchst persönlichen und zutiefst subjektiven Zustand der Existenz in Diagramme und Zahlen.
  2. Die genannten Kategorien, welche die Definition von Glück messen sollen, verzerren den Glücksbegriff zu stark in die hedonistische Richtung. Nicht berücksichtigt wird bei dieser Betrachtungsweise das tiefe, zufriedene eudaimonische Leben, das sich an Lebenstugenden und der Fähigkeit einer gesunden individuellen Lebensführung ausrichtet. Dieser Zustand von Glück ist ein wesentlicher Aspekt der menschlichen Natur. Dieser Zustand richtet sich nicht nach dem BIP oder anderen vorgegebenen Infrastrukturen des Wohlstands.

FAZIT

Wenn wir Aristoteles folgen, ist Glück, wenn ein Mensch sein Bestes gibt, was auch immer das Leben ihm gerade vor die Füße wirft. Diese Form von Glück entsteht, wenn wir unser Potenzial ausschöpfen und auf unsere eigene Art und Weise herausragende Leistungen erbringen. Diese Art von Glück entsteht, wenn wir uns bemühen, freundlich, ehrlich und gut zu sein. Wenn wir hart arbeiten, weil wir einen Sinn und Freude in unserer Arbeit erleben und weil wir uns selbst und die Welt um uns herum zu einem besseren Ort machen möchten.

Auf unserem Sterbebett werden wir unser Glück nicht in Aktienwerten messen, sondern an erinnerungswürdigen Momenten und dem Gefühl, das eigene Leben so gut wie möglich gelebt zu haben. Wenn wir am Ende unseres Lebens sagen können: „Ich hätte es nicht besser machen können“, dann haben wir ein glückliches Leben gelebt.


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