Was ist Freiwilligkeit – und wo hört sie auf?

(© Melanie Vogel) Im Wort Freiwilligkeit stecken zwei essenzielle und existenzielle Begriffe: Freiheit und Wille. Beide wurden in keinem Wissenszweig je vollständig definiert. Und das ist wenig verwunderlich, weil Freiheit vom individuellen Willen abhängt und der eigene Wille nicht umsonst der „freie Wille“ heißt. Was also kann es bedeuten, wenn wir über FreiWILLIGkeit sprechen?

Um meinen Willen auszuüben, muss ich etwas wollen. Sobald ich etwas will, übe ich eine Form von Freiheit aus, die mir qua meiner Geburt zusteht – so sagt es zumindest Sartre, der davon spricht, dass der Mensch zur Freiheit verdammt ist, denn sobald er „in das Leben geworfen” wird, ist er frei, Entscheidungen zu treffen. Jeder freien Entscheidung steht aber gleichzeitig auch die Verantwortung gegenüber. Auch das hat Sartre sehr klar formuliert. Freiheit und (Selbst-)Verantwortung sind zwei Seiten einer Medaille.

Demnach müsste Freiwilligkeit das Wollen zu einer Entscheidung umfassen, die in ein Tun oder Unterlassen mündet, für das ich die individuelle Verantwortung trage und diese auch bewusst übernehme. Das ist so lange kaum ein Problem, so lange in der Freiwilligkeit nicht an irgendeiner Stelle ein Machtgefüge vorherrscht. Solange ich für mich selbst in Freiwilligkeit entscheiden und Verantwortung übernehmen kann, ohne dass eine weitere Partei beteiligt ist oder an meiner Freiwilligkeit potenziell Schaden nehmen könnte, ist das moralische Dilemma kaum existent.

Was aber passiert, wenn z.B. Regierende bei bestimmten Themen auf „Freiwilligkeit” setzen, die Menschen individuell dieser Freiwilligkeit im Sinne Sartres nachkommen (sich also individuell für Tun oder Unterlassen in völliger Selbstverantwortung entscheiden), das Ergebnis der freiwilligen Handlung aber nicht den Erwartungen der Herrschenden oder einer wie auch immer gearteten Mehrheit entspricht?

Nun kann diese Freiwilligkeit beeinflusst werden. Und zwar dadurch, dass Bedingungen entstehen. Aus der FreiWILLIGkeit wird auf einmal ein genereller FreiheitsANSPRUCH etwas tun oder nicht tun zu dürfen. Auf ganz subtile und sehr perfide Art wird jetzt der freie Wille durch eine neue, vorher noch nicht dagewesene Machtebene untergraben. Der freie Wille wird an Bedingungen geknüpft, die nicht der Mensch individuell entscheidet, sondern, die für ihn vorgegeben werden.

Das ist noch kein Zwang – aber es entsteht ein ZwangsGEFÜHL. Es braucht sehr, sehr viel Wissen und Erkenntnis, um das Zwangsgefühl nun von der Freiwilligkeit zu trennen. Den meisten Menschen gelingt es nicht – was sehr menschlich ist, denn die wenigsten sind geübt darin, Begriffe und Situationen in einem zutiefst volatilen Kontext auseinander zu dividieren.

Das Zwangsgefühl erzeugt nun einen existenziellen Druck, weil es (in solchen Fällen historisch immer) begleitet ist von einer politisch-medialen Propaganda, die plötzlich vorgibt, was solidarisch oder nicht solidarisch, was rechtens und nicht rechtens ist. Wer sich noch nie in totalitären Systemen bewegt hat, kann diese Mechanismen ebenfalls oft nicht erkennen, denn in unserer freiheitlich-westlichen Welt waren diese Mechanismen in unserem Lebensalltag bis 2020 weitgehend unbekannt. Mögliche Vergleiche hätten man durch die Geschichte ziehen können, die voll ist von Mechanismen, die auf Zwang oder einem Zwangsgefühl aufbauen.

Wird das Zwangsgefühl zusätzlich durch Angst und vermeintliche Alternativlosigkeit dauerhaft getriggert, braucht der staatliche Machtapparat nichts mehr zu tun. Die Menschen setzen nun – in angstgetriggertem Gehorsam oder existenzieller Verzweiflung – das um, was nach wie vor auf FreiWILLIGkeit beruht. Sie GLAUBEN auch, freiWILLIG gehandelt zu haben und tatsächlich trügt dieser Glaube nicht. Sie waren frei und willig. Allerdings standen sie unter dem hypnotischen Einfluss von einem (meist unbewussten) massiven Zwangsgefühl. Und was das mit der Freiwilligkeit macht, müsste philosophisch und gesellschaftlich endlich offen besprochen werden. Denn dieses Dilemma ist nicht neu, sondern es funktioniert seit Tausenden von Jahren in immer neuen Konstrukten.

John Stuart Mill spricht in diesem Zusammenhang übrigens von SOZIALEM TERROR, der aus der Gesellschaft gegen die eigene Gesellschaft wirkt und so der Freiwilligkeit den Sauerstoff entzieht.

Ich habe hier eine sehr persönliche Meinung, die vielleicht auch ein wenig angehaucht ist von meinem Studium der Rechtswissenschaften. Meiner Meinung nach handelt es sich bei dem oben geschilderten Vorgang um FREIHEITSBEUGUNG. Darunter versteht man eine Freiheit, die durch Zwang (oder ein massives Zwangsgefühl) entsteht. Das Individuum beugt sich einer von außen gestellten Bedingung, um eine vermeintliche Freiheit wiederzuerlangen.

Doch welchen Wert hat die durch Freiheitsbeugung erlangte Freiheit noch? Beruht sie wirklich noch auf einem freien Willen oder müssten wir hier über eine Scheinfreiheit sprechen? Ist eine Scheinfreiheit dann nicht vergleichbar mit einer Illusion – und müssten wir dann hier nicht irgendwann auch einmal den Tatbestand des Betrugs ins Auge fassen?

Und wenn eine Gesellschaft Zustände schafft, in denen Freiheitsbeugung durch ein ZwangsGEFÜHL gesellschaftlich geduldet wird (nach John Stuart Mill also sozialen Terror ausübt), wer trägt dann am Ende die Verantwortung? Drei Szenarien könnte man durchdenken:

  1. Szenario: Wer Freiheitsbeugung auf die oben beschriebene Weise initiiert, kann sich jeglicher Verantwortung entziehen. Falls sich also jemand wundern sollte, warum so manche Politnase, ohne vor Scham im Boden zu versinken, heute behauptet, in den Jahren 2020 bis 2022 hätte es keinen Zwang jedweder Art gegeben, dann hat diese Nase – oberflächlich gesehen – unter Umständen Recht. Die meisten Maßnahmen beruhten auf Freiwilligkeit. Dass die damit verbundenen Bedingungen zur Rückgewinnung der Freiheiten bei dem einzelnen ein ZwangsGEFÜHL auslösten, war der Situation geschuldet. Diesem ZwangsGEFÜHL hätte man sich nicht beugen müssen. Und es gab ja genügend Menschen, die das auch nicht taten. Der selbstverantwortliche Preis, den sie dafür zahlten, war, dass sie als Parias erleben durften, wie man sich am Rande der Gesellschaft fühlt.
  2. Szenario: Diejenigen, die sich gezwungen sahen, sich einer wie auch immer gearteten Entscheidung zu beugen, können ebenfalls jegliche Verantwortung von sich weisen, denn sie fühlten sich einem Zwang ausgesetzt. Sie können die Schuld auf andere schieben und fühlen sich nun vielleicht als Opfer oder sogar als Märtyrer. Szenario 1 und 2 schieben sich also gegenseitig die Verantwortung zu. Es entsteht ein „schachmatt“, das im schlimmsten Fall nicht einmal vor Gericht geklärt werden kann, weil diese ethische Messerschneide unter Umständen (noch) präzedenzlos ist.
  3. Szenario: Wenn das ZwangsGEFÜHL durch eine Pflicht abgelöst wird, ist die FreiWILLIGkeit aus meiner Sicht erst dann wirklich aufgelöst, wenn es keinen Ausweg aus der Pflicht gibt. Hat der einzelne Mensch die Möglichkeit – und derer gibt es in den allermeisten Fällen einige – eine Pflicht zu umgehen, kann man das tun. Man trägt dann nur in diesem Fall ebenfalls die Verantwortung für die Folgen. Ganz nach Sartre: sich auf der einen Seite die persönliche Freiheit zu nehmen, bedeutet auf der anderen Seite die persönliche Verantwortung zu tragen. Im Falle einer Pflicht sind die Grenzen also ziemlich klar. Anders als beim ZwangsGEFÜHL das durch Manipulation und Propaganda geschürt und daher meist auf unterbewusster Ebene gesteuert wird. Hier verschwimmen die Grenzen auf eine zutiefst unethische und unmoralische Art und Weise.

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