Sokrates: Wer fragt, führt

(©Melanie Vogel) Sokrates erkannte schon vor 2.000 Jahren: “Ich weiß, dass ich nichts weiß.” Und weil er das wusste, wusste er zumindest mehr als andere. Dieses bewusste Nichtwissen ließ ihn immer wieder Fragen stellen – denn: “Wer nicht fragt, bleibt dumm”, oder im Fall von Sokrates: nichtwissend. Sokrates betonte deshalb das “Primat der Erkenntnis”. Dazu gehörten seiner Ansicht nach nicht nur die Erkenntnis des eigenen Nichtwissens und die Aufdeckung von Scheinwissen, sondern auch Selbsterkenntnis und die Erkenntnis der Wahrheit und des Guten. Pragmatischer ausgedrückt: Wissen braucht die bewusste Vernetzung zwischen Kopf und Herz, zwischen Ratio und Empathie. Wir müssen mental und emotional in der Lage sein, Informationen zu bewerten, zu beurteilen und schließlich erkenntnisgerecht im Guten anzuwenden.

Schluss mit der intellektuellen Selbstkasteiung

Sokrates ging es daher auch nicht in erster Linie darum, Antworten auf Fragen zu bekommen, sondern er wollte konsequent Nichtwissen aufdecken. Diese Dialogpraxis bezeichnete er als „Hebammenkunst“, denn er leistete den Menschen „Geburtshilfe“, die bereit waren, eine Einsicht zu „gebären“. Dies gelang ihm durch gezielte Fragen, die dazu dienten, vorhandene irrige Vorstellungen zu beseitigen und so den Weg freizumachen für den tatsächlichen – wahren – Sachverhalt.

Vor der Frage: “Was können wir tun?” sollte der Frage nachgegangen werden: “Was können wir denken?”
Das Denken neu durchdenken … darauf käme es an in einer Zeit voller Ungewissheiten.
Joseph Beuys

Diese Kunst benötigen wir heute mehr denn je. Die Gegenwart wirft mehr Fragen auf, als viele vermutlich je gedacht hätten. Klimawandel, Überschuldung, globale Wirtschaftskrisen, Pandemien und eine Welt, die nicht nur immer digitaler, sondern auch immer ver-rückter wird, verlangen von uns allen eine ständige ernsthafte Überprüfung des eigenen Standpunktes und des aktuellen Status quo, um blinde Flecke einerseits und Wissensvorsprünge andererseits frühzeitig erkennen und nutzen zu können.

Die Sokratischen Dialoge aktivieren den freien Geist und die Freigeister, die in jeder und jedem von uns stecken. Sie geben den Raum, die Defragmentierung der eigenen Gedanken aufzuheben, tabufrei mentales Neuland zu erschließen und sich von der Kraft der eigenen mentalen Stärke inspirieren zu lassen.


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