Peace one Day

(© Melanie Vogel) Der Regisseur Jeremy Gilley hat den #PeaceOneDay am 21. September 1999 mit dem Ziel initiiert, zumindest an einem Tag im Jahr einen weltweiten Waffenstillstand auszurufen. In Deutschland ist dieser Tag als Friedenstag unbekannt, doch in Kriegsgebieten hat der 21. September Gewicht. An diesem Tag ruhen die Waffen. Hilfsorganisationen erhalten Zugang zu Bedürftigen und der Krieg macht 24 Stunden Pause.

Ich denke, auch in Deutschland sollten wir den Tag stärker ins Bewusstsein rufen, denn friedlich ist unsere Gesellschaft schon lange nicht mehr. Die Spaltung der letzten Jahre innerhalb unserer Gesellschaft hat nichts Friedvolles mehr an sich. Es ist kein Krieg, den wir mit Waffen austragen – aber es ist einer, der mit bitterbösen Worten geführt wird. Die Verletzungen, die daraus entstehen, bluten nicht außen – sie bluten innen.

In unserer aktuellen Art der Kriegsführung liegen Schmerz, Verwüstung und Zerstörung vor allem in der Stille: im Nichtssagen, im Wegschauen, im Leugnen, im Ignorieren, im Verdrängen von dem, was nicht sein kann, weil es nicht sein darf.

Die Schäden, die wir davontragen, sind mentale Wunden, Traumata, nachhaltig manifestierte Ängste, Depressionen – bis hin zu Selbstmorden. Daten jeder Krankenkasse – übrigens nicht nur in Deutschland – zeigen, dass die psychischen Wunden in den letzten vier Jahren massiv zugenommen haben. Insbesondere Kinder sind die Opfer. Traumata, Ängste und Depressionen sind übrigens die gleichen Seelen-Verletzungen, die jeder Mensch davonträgt, der einen Krieg miterlebt hat. Meine Großeltern waren für mich lebendige Beispiele. Zutiefst traumatisiert bis an ihr Lebensende. Funktionstüchtig und Leistungsfähig in der Gesellschaft, aber psychisch leidend ihr Leben lang. Meine Großmütter trugen keine äußerlichen Merkmale eines überstandenen Krieges. Keine sichtbare Narbe, die zeigte, welche Kämpfe sie gefochten haben. Und doch haben ihre Narben bis ans Lebensende geblutet. Im Inneren.

Es mag Menschen geben, die die Bezeichnung „Krieg“ für zu drastisch halten, die Krieg nur mit Bomben und Explosionen in Verbindung bringen, so wie es uns die Definition von Krieg qua Lexikon auch vorgibt. Doch in welchem Zustand befindet sich eine Gesellschaft, in der mit Worten gefochten wird? Was zeichnet eine Gesellschaft aus, die sich spaltet und spalten lässt und darüber jedwede humanistische Grundlage verliert, auf die wir in Europa Jahrhundertelang so stolz gewesen sind? Wie sollen wir eine Gesellschaft bezeichnen, in der sich „Fronten“ bilden zwischen „Diesen“ und „Jenen“, in der „Gräben“ jedwede vernunftbasierte Kommunikation, jede Form von friedlichem Dialog unmöglich machen? In welcher mentalen Verfassung befindet sich eine Gesellschaft, in der Medien und Politik seit vier Jahren in Dauerbeschallung nicht müde werden, vom „Krieg“ zu sprechen? Erst gegen “ein Virus”, dann gegen “die Russen” und schließlich ganz verallgemeinert gegen “das Klima”.

Meine Antwort ist hier ziemlich eindeutig: Eine solche Gesellschaft ist nicht im Frieden.

Die Natur übrigens kennt weder Krieg noch Frieden. Beides sind menschlich geschaffene, künstliche Konstrukte, die sich aus einem Zusammenleben ergeben, das nicht mehr harmonisch verläuft. Die Natur kennt nur die Zustände von Chaos und Harmonie und wenn man sie lässt, ist sie jederzeit in der Lage, die Balance zwischen diesen beiden Zuständen selbst zu erschaffen und zu erhalten. Autopoiesis nennt man diesen Zustand der Selbsterschaffung von Systemen.

Autopoiesis machen wir Menschen auch – nur unter den falschen Vorzeichen. Wir „erschaffen“ das System Krieg, um eigene Interessen gegen eine andere Interessensgruppe durchzusetzen und brauchen dann den Frieden, um der unterlegenen Gruppe ein diplomatisches Angebot zu unterbreiten. Sinn macht das nicht, denn nichts davon ist nachhaltig.

Wie könnten Lösungen aus diesem zerstörerischen Dilemma aussehen? Nun, Jeremy Gilley hat einen Anfang gemacht. Einen Tag Frieden, an dem die Waffen schweigen. Legen wir also heute die verbalen Waffen nieder und üben wir uns in „gewaltfreier Kommunikation“. Und wenn wir einen Tag geschafft haben, schaffen wir auch einen zweiten, einen dritten – und vielleicht sogar noch viele mehr…

Das wäre die Hinwendung zu einem Frieden in kleinen Schritten aus uns selbst heraus. Was für eine schöne Vision!


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