Zur Freiheit verurteilt

(©Melanie Vogel) “Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt” – dieser Satz stammt von Jean Paul Sartre, einem der großen Existenzphilosophen. Er und seine existenzphilosophischen Kollegen waren sich relativ sicher, dass das Einzige, was der Mensch mit Gewissheit sagen kann, ist, dass er irgendwann sterben wird. Dem Tod können wir nicht entrinnen. Doch zwischen Geburt und Tod liegt das Leben, unsere Existenz. Und wie wir diese Existenz leben, können wir frei entscheiden, denn wer einmal in die Welt geworfen (= hineingeboren) wurde, ist für alles verantwortlich, was er tut und unterlässt. Die Umstände unserer Geburt und Erziehung entziehen sich zwar unserer Kontrolle, doch sobald wir uns unserer selbst bewusst werden, müssen wir Entscheidungen treffen – Entscheidungen, die unser “Wesen” bestimmen.

Und hierin liegt – laut Sartre – die Verurteilung des Menschen, denn wir können unserem Freisein und der Freiheit nicht entrinnen. Keine Entscheidung können wir abgeben, keine Verantwortung von uns weisen. Der Mensch trägt die Bürde der Freiheit und damit auch die der Selbstverantwortung. Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich ein aktives Handeln für jeden Menschen, denn laut Sartre heißt „existieren“, dem Leben einen Sinn zu geben und sich sein eigenes Leben zu (er-)schaffen.

Da uns nichts einschränkt, haben wir die Wahl, Maßnahmen zu ergreifen, um der Mensch zu werden, der wir sein wollen, um das Leben zu führen, das wir leben möchten. Nach Sartre definiert uns jede Entscheidung, die wir treffen, und offenbart uns gleichzeitig, was wir denken, wie ein Mensch sein sollte. Und diese unglaubliche Last der Verantwortung, die der freie Mensch zu tragen hat, ist es, die ihn in ständige (Existenz-)Ängste stürzt.

Wir können nicht nicht entscheiden.

In jeder Situation sind wir gezwungen zu entscheiden, wie wir uns verhalten wollen. Das ist die Ambivalenz der Freiheit. Wir können nicht nicht entscheiden. Egal, was wir tun oder unterlassen – immer tun wir das aus freien Stücken und müssen daher jede unserer Entscheidungen auch selbst verantworten. Somit ist nach Sartre selbst eine inhaftierte Person nicht unfreier, als eine Person, die sich auf freien Fuß befindet, denn die gefangene Person kann sich immer noch frei entscheiden, wie sie auf ihre Gefangenschaft reagieren möchte.

Als ich durch die Tür in Richtung meiner Freiheit ging, wusste ich, dass ich so lange im Gefängnis bleiben würde, wie ich Verbitterung und Hass nicht hinter mir lasse.
Nelson Mandela (1918-2013)

In anderen Kontexten spricht man heute übrigens von „Mindset“, von einer Haltung, die man einnimmt. Das klingt etwas griffiger – ist aber nicht minder anstrengend, denn auch ein Mindset – eine Haltung – muss individuell erarbeitet werden. Und immer sind wir frei, genau das zu tun (oder zu unterlassen). Freiheit kann damit zu einer echten Last werden, weil wir uns vor unserer eigenen Existenz und der damit verbundenen Verantwortung, Entscheidungen treffen und eine Haltung einzunehmen zu müssen, nicht entbinden können.

Leben, ohne nach Freiheit zu streben, war für Sartre undenkbar. Das Phänomen, dass Menschen akzeptieren, dass die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise sein müssen, und sich anschließend weigern, alternative Optionen anzuerkennen oder zu verfolgen, bezeichnete er als “mauvaise foi”, als Unaufrichtigkeit oder auch als einen “schlechten Glauben”. In “Das Sein und das Nichts” erklärt er den Begriff “mauvaise foi” anhand des Beispiels eines Kellners, der so sehr in seine Arbeit vertieft ist, dass er sich in erster Linie als Kellner und nicht als freies menschliches Wesen sieht. Dieser Kellner ist so sehr davon überzeugt, dass seine gegenwärtige Arbeit alles ist, was er tun kann, dass sie alles ist, wozu er bestimmt ist, dass er nie die Möglichkeit in Betracht zieht, etwas anderes in seinem Leben sein zu können.

Sartre glaubte, dass wir individuell und damit allein dafür verantwortlich dafür sind, wer wir wirklich sind, wie wir uns verhalten – und wann wir bereit sind, unsere Freiheit aus uns selbst heraus einzuschränken. “Wir sind allein und haben keine Ausrede”, sagte er.

Letztlich war Sartre ein Humanist, der wollte, dass wir uns von unseren selbst auferlegten Fesseln befreien und unser gewaltiges Potenzial entfalten.


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